Deine Wut hat nichts mit ihnen zu tun – du bist das Problem
- marvas23
- 21. Mai
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Deine Rachegelüste stammen von deiner Wut. Deine Wut ist das Feuer, das dich selbst in Brand setzt. Du zerstörst deinen Frieden mit deinen eigenen Händen. Du hältst an der Wut fest. Du siehst nur, was jemand dir gesagt oder angetan hat und glaubst deshalb, die Ursache deiner Wut sei draußen – und daher sei draußen auch das Problem.
Dabei hast du sogar im Gebet Rachefantasien. Die Gedanken im Gebet offenbaren uns, was wir im Herzen tragen. Du musst verstehen, dass dieser Ausmaß an Wut in dir selbst ist und mit dir zu tun hat. Viele Menschen wissen nicht einmal, wie es anders sein kann.
Wenn sich das Herz weitet
Wie ist das Leben, wenn man seine Wut läutert? Dann weitet sich dein Herz. Wenn sich dein Herz weitet, fühlst du dich nicht mehr unterlegen. Du stehst nicht mehr in Konkurrenz zu Menschen. Ihre Worte nehmen dir nichts mehr weg. Du hast nicht länger das Bedürfnis, für Gerechtigkeit zu sorgen, dein Recht wieder zu erlangen.
Du glaubst nicht mehr der Lüge, du habest dir jahrelang von Menschen etwas gefallen lassen. Man habe dich jahrelang gedemütigt, beleidigt und du hättest nicht den Mut gehabt, dich zu wehren.
Wenn alte Asche neu aufflammt
Wegen dieser Lüge bist du sauer auf dich selbst. Deshalb bist du ständig bedrückt. Jeder Blick, der dir zugeworfen wird, jede spitze Bemerkung ist wie ein Windstoß, der die noch leicht brennende Asche der Rachegelüste vergangener Ereignisse in dir aufflammen lässt. Noch Stunden, sogar Tage später hängst du noch an Bemerkungen. Du hättest es ihm gerne gezeigt. Vielleicht willst du ihn sogar demütigen. Du möchtest ihm vorhalten, wie armselig sein Verhalten dir gegenüber war.
Dabei bemerkst du nicht, wie armselig genau diese Gedanken sind. Kleinen Menschen kann man mit Größe einen Spiegel vorhalten. Die Hässlichkeit des eigenen Benehmens erkennt man im Angesicht von Schönheit. Schönheit ist der Spiegel von Hässlichkeit. Ohne das eine existiert das andere nicht. Wut ist ein brodelndes Feuer. Gibst du dem Feuer des Anderen dein eigenes hinzu, wird es nur größer.
Deine Gedanken als Spiegel
Deine Gedanken wiederum sind dein Spiegel. Deine Rachefantasien offenbaren dir deine Kleinheit. Wenn du den Mut aufbringst, in diesen Spiegel zu sehen und die Demut aufweist, den Anblick zu ertragen, wird dich dieser Prozess erheben. Das ist der Weg zur Größe.
Kişi noksanını bilmek gibi irfan olmaz.
Der Gewinn in der Provokation
In allem Schlechten steckt etwas Gutes. Dein Gewinn, wenn jemand dich verbal attackiert oder provoziert, ist die Offenbarung dessen, wie es um dich selbst steht. Diese Erkenntnis bricht für einen Teil deine Eigenliebe (ʿUdschb). Das wiederum weitet dein Herz und gewährt dir die oben geschilderten Zustände wahrer Größe und echten Frieden. Damit nimmt deine Demut zu – und mit ihr dein Rang im Paradies.
Sanftmut als Zeichen wahrer Stärke
Das ist Transformation. Du beginnst für deinen Aggressor Mitleid zu empfinden. Nicht aus Arroganz, sondern weil du dich seiner Kleinheit erbarmst. Nichts könnte ihn mehr irritieren. Du wirst automatisch sanft in deinem Ton, in deinem Blick, welcher jener Person ihre eigene Kleinheit spiegelt. Das könnte ihr Herz besänftigen und aus einem Feind einen Freund machen. So entsteht Liebe um Allahs ﷻ Willen.
Ein Herz wie ein Brunnen
Das sind die Lorbeeren, die du bekommst, wenn die Wurzel der Liebe in dir schlägt, statt dass du deine eigenen Bedürfnisse von Menschen pflückst. Einen Wasserbecken kann man von außen mit Wasser füllen. Dann ist dieses Becken davon abhängig, dass jemand ihm Wasser spendet. Oder das Becken ist ein Brunnen und wird ständig von unter der Erde mit Wasser versorgt und spendet seiner Umgebung Leben.
Beziehungen als Mittel zum Zweck
Genau so ist das Herz ein Becken. Wer seinem Verlangen, seiner Wut erliegt, den Begierden des Egos folgt, dessen Beziehungen sind geprägt von Missbrauch. Diese Menschen zeigen Zuneigung, um Zuneigung zu erhalten. Nicht selten werden sie dabei manipulativ. Diese Art von Beziehungen sollen nur mit dem versorgen, was das Ego braucht, um sich ganz und wertvoll – und oft auch überlegen – zu fühlen. Das ist wie mit Zucker umhülltes Gift.
Der Weg des Propheten ﷺ zur Liebe
Liebe von innen schöpft man, indem man den Weg unseres geliebten Propheten ﷺ geht. Um seinen Weg zu gehen, muss man ihn lieben. Mehr lieben als sich selbst.
»Der Prophet ist den Gläubigen näher als sie sich selbst.« (Ahzāb, 6)
Diese Liebe muss so stark sein, dass sie dein Herz in Brand setzt. In diesem Brennen verschwindet dein Ich – wie eine Motte aus Liebe im Feuer verschwindet.
Biz bülbül-i muhrik-dem-i gülzar-ı firākız. Ateş kesilür geçse sabâ gülşenimizden.
Sultan Selīm Han II
„Wir sind die Nachtigall, die in glühender Stimme im Rosenhain der Trennung klagt.
Wenn der Morgenwind aus unserem Rosengarten weht, verwandelt er sich in Feuer.“
In unserer Literatur steht die Nachtigall für den Liebenden und die Rose für den Geliebten. Aus Liebe zwitschert die Nachtigall. Der Sultan sagt, dass seine Kehle vor Liebe so stark brennt, dass selbst der Morgenwind in Flammen aufgehen würde, wenn er über seinen Rosenhain der Trennung wehte.
Die geläuterte Kraft der Wut
Um Liebe und Fülle von innen zu schöpfen, muss man das Verlangen und die Wut beherrschen und läutern. Läutern bedeutet nicht, sie zu entfernen; das ist weder möglich noch gewünscht. Geläutert werden sie von ihrem Übermaß. Diese Liebe ist unerschöpflich. Dann spendest du deiner Umgebung das Ab-i Hayāt – das Wasser des Lebens – und verwandelst trockene Erde in einen Rosengarten. Ein Schluck aus diesem Jungbrunnen verleiht ewige Jugend.
هر که دانا بود توانا بود
ز دانش دل پیر برنا بود
„Wer wissend ist, ist mächtig. Durch Wissen bleibt das Herz des Alten jugendlich.“

Das höchste Wissen ist die Maʿrifa – die Erkenntnis um Allah. Der Schlüssel zur Gotteserkenntnis ist die Selbsterkenntnis. Wer auf dem rechten Weg voranschreitet, lernt, wie Verlangen und Wut Macht über ihn haben und ihn steuern. Dass Verlangen und Wut nur den geheimen Begierden seines Egos dienen. Wer dies erkennt, erkennt seine Mängel, seine Schwächen, die Hässlichkeit seines Charakters.
Er sieht, dass seine Beziehungen nicht echt sind. Er sieht, dass der Grund dafür nicht die anderen sind, sondern er selbst. Dass er Beziehungen nur zum Zapfen eigener Bedürfnisse und Begierden benutzt. Die meisten Menschen sind ihrer eigenen Mängel völlig blind. Sie sehen nicht, dass sie stets in Konkurrenz zu den Menschen stehen – und sogar jene übertreffen wollen, die sie behaupten zu lieben.
Öffne dein Herz
Wenn du so weit bist, das in dir zu sehen, bist du den meisten Menschen voraus. Öffne dein Herz. Schöpfe das Licht des Jungbrunnens. Beherrsche deine Wut. Falle den Lügen des Teufels nicht anheim. Niemand kann dich demütigen, ohne dass du dich gedemütigt fühlst.
Würde durch Sanftheit
Wessen Herz geweitet ist, der fühlt sich niemandem unterlegen, der empfindet keine Wut, um seine „Würde zu schützen“. Er sieht in dem Aggressor noch etwas anderes: Das Herz, das unter der Tyrannei des Egos leidet. Ein Herz ohne Liebe. Wo keine Liebe ist, festigt sich Eigenliebe. Eigenliebe ist das Gegenteil von Liebe. Was in den sozialen Medien als Selbstliebe gepredigt wird, ist in Wahrheit Würde (شرف).
Der wahre Sayyid
Würde gewinnt man durch guten Charakter, durch das Beherrschen der Wut und des Verlangens, durch Sanftheit. Unser geliebter Prophet ﷺ sagte:
الحليم سيد في الدنيا و سيد في الآخرة
„Der Sanfte ist ein Herr in dieser Welt und ein Herr im Jenseits.
al-Ḥalīm: der Nachsichtige, Milde, Sanftmütige – jemand, der trotz Provokation oder Ärger ruhig und geduldig bleibt.
Sayyid: wörtlich „Herr“ oder „Anführer“, im Sinne von jemandem, der Würde, Ehre und Führungsqualität besitzt.